in Haeckels Worten
Virchows Schüler Ernst Haeckel schildert eine wissenschaftliche Kontroverse seines Meisterns mit der "Jüngeren Wiener Schule"
Als Virchow 1856 seinen Assistenten Ernst Haeckel mit Publikationen in der "Wiener Medizinischen Wochenschrift" beauftragte, die naturgemäß dem Kreis um Rokitansky nahestand, reagierte die sog. "Jüngere Wiener Schule" gereizt. Haeckel beschrieb die Kontroverse in einem Brief an seine Eltern am 20. 2. 1856 folgendermaßen:
"Anfangs dieses Semesters machte mir Virchow den ehrenvollen Antrag, auserwählte Vorträge aus seinem demonstrativen Kursus (der pathologischen Anatomie unde Histologie), besonders über seltene Fälle und weniger bekannte Gegenstände, auszuarbeiten und nach Wien an die "Wiener Medizinische Wochenschrift" zu schicken, deren Redakteur Dr. Wittelshoefer ihn um öftere Einsendungen ersucht habe. Obgleich ich verschiedene Einwendungen (über Nichtfähigkeit, Zeitmangel usw.) dagegen machte und dadurch ihm auszuweichen suchte, drang er doch so in mich, daß ich mich ernstlich entschloß, die Sache zu versuchen. Es kamen auch bald zwei sehr merkwürdige Fälle von Typhus (Nervenfieber), welche sich vortrefflich dazu eigneten und bei deren Gelegenheit Virchow einen klassischen Vortrag über "die Beziehungen des Typhus zur Tuberkulose" hielt. Diesen arbeitete ich also aus und schickte ihn nach Wien. Er erschien in den beiden ersten Nummern dieses Jahrgangs (1856) der "Wiener Medizinischen Wochenschrift". Darauf erscheint - doch ich will hierüber meinen Redakteur selber reden lassen, der in einer Anmerkung zu dem einige Wochen später in Nr. 7 erschienenen zweiten Aufsatz "über Fibroid des Uterus" folgende Anmerkung macht:
"Wir müssen wiederholt bemerken, daß die unter obiger Aufschrift "Aus dem pathologisch-anatomischen Kurse des Professor Virchow in Würzburg" erscheinenden Artikel mit Zustimmung und unter Überwachung des Herrn Professor Virchow gearbeitet werden und daß sie teils selten interessante Fälle, teils solche Kapitel enthalten, die der berühmte Professor nicht veröffentlichte. - Wir haben eine gleiche Erklärung bereits vor 14 Tagen in der Voraussicht abgegeben, daß die niedrige Gehässigkeit der Tschechen-Clique der sogenannten "Wiener Schule" mit ihrem Schweifenanhange gegen uns mit der bekannten ordinären Verdächtigung hervortreten werde; - unsere Erklärung wurde nicht beachtet. Herr Heschl in Krakau, als Famulus der österreichischen Tschechen-Clique, übernahm es, in einem mit ungewohntem Zynismus ausgestatteten Schreiben an Herrn Haeckel, der in unseren Aufsätzen ausgesprochenen Ansicht Virchows in der "Zeitschrift für praktische Heilkunde" entgegen zu treten. Über den sachlichen Inhalt jenes Artikels abzuurteilen kömmt uns nicht zu, der Angegriffene selbst wird wissen, sein Recht zu wahren. Die perfide Verdächtigung aber, die dabei uns treffen sollte, müssen wir selbst beleuchten usw.usw."
Dies ist der kurze Sachverhalt! Virchow hat nun inzwischen eine Entgegnung gegen meine Angreifer geschrieben, welche wahrscheinlich in der nächsten Nummer zugleich mit meinem 3. Aufsatz über "Ovarien-Zystoide" erscheinen wird. Außerdem hat er es mir überlassen, mich noch speziell selbst zu verteidigen, wozu ich natürlich nicht die mindeste Lust habe, da ich doch noch ein gar zu junger Rekrut bin!. Wie süß aber, für Virchow angegriffen zu werden!"