Würzburger Provinz
Würzburg um 1850 zur Zeit Virchows
Würzburg war um die Mitte der 19. Jahrhunderts eine friedliche Provinzstadt von ca. 30.000 Einwohnern. Seinen jahrhundertelangen Charakter als Residenzstadt (Sitz der Fürsterzbischöfe) hatte es mit der Säkularisation zu Beginn des Jahrhunderts verloren. Zum Königreich Bayern gehörend, wurde es seitdem vom 300 km weit entfernten München regiert. Da auch die Industrialisierung noch kaum Einzug gehalten hatte, ging es in Würzburg damals ausgesprochen friedlich zu. Nach seiner Ankunft im Herbst 1849 schrieb Virchow an seine Eltern in Pommern: "Politisch ist Stagnation, geistig Stilleben." Sein Schüler Ernst Haeckel berichtete seinen Berliner Eltern: "Was hier überhaupt zusammengeläutet wird, das glaubt Ihr gar nicht ..."
Auch nach dem Verlust seiner weltlichen Macht prägte der Katholizismus das Leben der Bevölkerung in einer Weise, die einem Protestanten bzw. Atheisten wie Virchow Unbehagen bereitete. Tonangebend im gesellschaftlichen Leben war der wohlhabende Mittelstand, welcher ein reges kulturelles Leben entfaltete mit Theater, Oper, Konzerten und Bällen, an denen Rudolf Virchow mit seiner Frau häufig teilnahm, ebenso wie an lustigen Landpartien, welche Professoren mit befreundeten Studenten und Doktoranden organisierten.
Einziger Unruheherd im beschaulich-frommen Leben der unterfränkischen Stadt war ihre Universität. Besonders an der medizinischen und naturwissenschaftlichen Fakultät regte sich liberales Gedankengut. Im Sommer 1849, ein Jahr nach der 48er Revolution, demonstrierten die Studenten "wegen Excessen des Militärs" mit einem Auszug in das nahe gelegene badische Wertheim.
In seinen statistischen Untersuchungen kam Virchow bald nach seiner Ankunft für Würzburg zu einer relativ niedrigen durchschnittlichen Lebenserwartung von 33 Jahren (Männer 32, Frauen 34). Als Haupttodesursache erkannte er die Lungenschwindsucht. Die Säuglingssterblichkeit war so hoch, daß die Stadtbevölkerung nur durch Zuzug vom Lande langsam wuchs.